Daß diese Schöpftrichtermethode (korrekt: Tauchauslaufbecher..) ungemein praktisch anzuwenden ist, möchte ich nicht in Abrede stellen.
Ich war beruflich jahrelang auch in Tiefdruckereien beschäftigt, aber außer Toluolnebel in der Birne ist nichts zurückgebliebenblieben. Und einen solchen Schöpftrichter habe ich dort nie wahrgenommen, die Viskosität im Farbtank wurde an Hand des Druckergebnisses korrigiert.
Es gibt also seit gut hundert Jahren mehrerere Maßeinheiten für Viskosität:
[*]Erst mal die SI-Einheit Pascalsekunde, die läßt sich auf seit einigen Jahrzehnten allgemein gewohnte Maße zurückführen. Es gibt viele Meßmethoden.
[*]Eine die bei amerikanischen Autoherstellern (SAE) genormt wurde und auch in Deutschland verwendet wird, zumindest für Motoröl und Bundeswehr-Kaffee.
[*]Die Variante nach DIN 53211 der deutschen Graffitygilde wurde vor 25 Jahren zurückgezogen, sie wird aber in der Werbung immer noch fleißig genutzt.
[*]Die Nachfolge-Norm soll mit einem geringfügig verändertem ISO-Becher wesentlich präzisere Messung ermöglichen. Eine Umrechnungsformel in SI-Einheiten findet sich auch hier nicht.
Die Abkürzung
SAE ist in der (internationalen) Wikipedia hinreichend differenziert und verlinkt.
Aber daß diese häufig beworbene Maßeinheit namens DIN (egal wie die jetzt genau geschrieben wird), weder in zeitgenössischen Lexika, noch in den aktuellen Informationsmedien (Wikipedia, Findmaschinen ...) auftaucht, es gibt erstmal nichts - auch nicht den kleinsten Hinweis, finde ich bedenklich. Und diese Maßeinheit verschwindet auch nicht im Rauschen hinter der Normierungsanstalt, sie existiert einfach nicht.
Stuuunden später, getriggert durch zahlreiche Suchanfragen aus ganz Deutschland, kennt Google
plötzlich alle falsch geschriebenen Varianten
din sec und findet die eben noch geheimen Details. Das ist wirklich krass!
In der deutschen Wikipedia gibts eine Übersicht gebräuchlicher
Viskosimeter, doch eine Herleitung von DIN (bei SAE geht's doch auch) findet nicht statt. Die Maßeinheit(?) wird dort "DINsec" geschrieben.
Sie war insbesondere bei der Prüfung von Lacken, Farben, Harzen und Flüssigkeiten mit ähnlicher Viskosität gebräuchlich, vor allem im angelsächsischen Raum. Meist wird hier als Maß für die Viskosität einfach die Abflussdauer (mit Hinweis auf die Norm und Düsengröße) angegeben.
Aha. Sind wir in Europa oder in Angel.., und wo finde ich Norm und Düsengröße bei der Graffity-Kotzmaschine?
Fazit: im Superbaumarkt wird mit wachsender Begeisterung nicht nur mit falsch geschriebenen, spätmittelalterlichen Einheiten unter Weglassen zwingender Details geworben. Auch wenn dieses Maß branchenüblich zu sein scheint, auf keinem Farbenbehälter habe ich bisher solche Angaben gefunden. Ich sollte mal den örtlichen Pinselquäler fragen ob er in der Schule beim Thema Viskosität zufällig krank war.
Unsere Kultur liegt im Sterben, die Zeichen sind eindeutig, traurig aber wahr. Hoffen wir mal, daß unsere SI-Einheiten noch ein paar Jahre halten.