Nach der allseits bekannten Faustregel kann man bei Luft von einer Durchschlagfestigkeit von 1kV/mm, laut Wiki sogar von 3,3kV/mm ausgehen. Nun hat PE, was ja in vielen Koaxkabeln als Dielektrikum eingesetzt wird, eine sehr (sehr) viel höhere Durchschlagfestigkeit als eben Luft. Wieso benötigt man nun auch bei so vergleichsweise niedrigen Hochspannungen eine Kriechstrecke von mehreren cm, wenn man von Laborbedingungen ausgeht, d.h. nur sehr geringe, nicht leitende Verschmutzungen, keine kondensierende Luftfeuchtigkeit usw. Ein ordentlicher Sicherheitsfaktor ist ja sicherlich wichtig, aber das, was in der Norm und in anderen Quellen zu finden ist, finde ich schon sehr extrem.
Die im Wiki angegebenen 3,3kV/mm sind ziemlich realitätsnah.
Das Problem ist, dass das Feld nicht homogen ist. In nem elektrostatischen Lautsprecher mit parallel liegenden Elektroden kommt man verdammt nah ran. Und im GESAMTEN VERHAU soll die Feldstärke nirgendwo diesen Wert überschreiten können. Denn ein runder Draht (noch schlimmer+ dünne Leiterbahn!) ist wieder eine Spitze und an der wird die Feldstärke massiv erhöht sein. Dort kann eine Entladung beginnen, und sich dann ausbreiten (Zum Entladung verlängern brauchts keine hohe Spannung, das weiß wer schon mal mit nem MOT Spaß hatte). Dabei ergibt sich bei üblichen Bastlerdrahtstärken eine Durchschlagspannung von etwa 1kV/mm (Lies: Zwischen zwei Spitzen, die weniger als 1mm pro kV entfernt sind, knallts, weil an den Spitzen und in deren Umgebung die Feldstärke größer als 3,3kV/mm ist, so dass eine Vorentladung entsteht und sich ausbreiten kann).
Da, wo ein Draht einen Isolator verlässt, ists noch fieser, weil ein Isolator mit hoher Dielektrizitätskonstante (Er) eine Art "Feldanziehende Wirkung" besitzt. Am Übergang Platine/Cu oder Isolator/Cu werden deshalb besonders leicht die 3,3kV/mm überschritten. Bei Gleichspannung wird hier bei jedem Ein/Ausschaltvorgang etwas Material verkohlt, bis sich die Umgebung durch die Überschläge aufgeladen hat. Bei Wechselspannung wird diese Entladung permanent brennen und auf Dauer (Wochen, Monate, Jahre!) einen Kohlenstoffpfad herstellen -> Bumm.
Deswegen machen die besonders großen Kriechstrecken Sinn (denn die sind für Platinen gemeint). Frei fliegende Aufbauten brauchen weniger Abstand, Platine mit ner guten Dröhnung Plastik 70 noch weniger.
Wenn die Chose nur mit DC läuft und nicht permanent schaltet, sind diese Riesenabstände nicht erforderlich. Da reichts, deutlich unter 1kV/mm zu bleiben. Die DIN (hab sie gerade nicht vorliegen...) geht vom Worst Case aus: Wechselspannung, unsauber geätzt, ewiges Leben. Die Chinesen bleiben da eh routinemäßig drunter und normalerweise passiert nix.
Bei Netzspannung geht man außerdem noch von überhöhten Spannungsspitzen im kV-Bereich aus.
Die Norm macht als solche gewiss Sinn, und stellt Zuverlässigkeit auf höchstem Industrieniveau sicher. Und dafür ist deutlich mehr Aufwand erforderlich, als für Zuverlässigkeit auf Bastlerniveau (das noch deutlich über Chinaniveau liegt...). Bei nem Experimentalverhau: Scheiß drauf, denk an die 1kV/mm, am Isolator entlang eher 0,5kV/mm, bleib drunter und gut is.